Wasser zeigt trotz einer sehr einfachen chemischen Struktur viele außergewöhnlichen Eigenschaften. Ein bekanntes Beispiel ist die Dichteanomalie. Trotz intensiver Forschungsbemühungen besteht noch immer kein Konsens in Bezug auf die Ursache dieser und weiterer Anomalien von Wasser.

Gibt es zwei flüssige Phasen von Wasser?

Eine viel beachtete Hypothese postuliert, dass sich die Anomalien auf die Existenz zweier flüssiger Phasen von Wasser zurückführen lassen, die sich hinsichtlich ihrer Dichte unterscheiden und bei reduzierten Temperaturen und erhöhten Drücken durch einen Phasenübergang erster Ordnung getrennt werden.

Ein wesentliches Problem bei der Überprüfung dieser Hypothese ist, dass sich die flüssige Phase aufgrund der sehr hohen Kristallisationsneigung von Wasser im relevanten Temperatur- und Druckbereich für experimentelle Untersuchungen nicht hinreichend lange stabilisieren lässt. In der aktuellen Forschung werden deshalb verschiedenste Ansätze verfolgt, um die Kristallisation zu unterdrücken und tief unterkühltes Wasser zu erforschen.

Bild: AG Vogel

Experimente an unterkühltem Wasser in Nanoporen

Bekanntermaßen ist die Kristallisation von Wasser unterdrückt, wenn sich die Flüssigkeit in engen Poren mit Durchmessern von wenigen Nanometern befindet. Somit lässt sich für Wasser in solchen Nanoporen der Temperaturbereich der unterkühlten Flüssigkeit vollständig erforschen.

Da eine Umwandlung zwischen zwei Wasserphasen mit einer Änderung im Bewegungsverhalten einhergehen sollte, untersuchen wir die temperaturabhängige Dynamik von unterkühltem Wasser in Nanoporen mittels kernmagnetischer Resonanz und dielektrischer Spektroskopie. Unsere Studien ergeben, dass bei ca. 220 K weitgehend unabhängig vom Porendurchmesser ein dynamischer Übergang auftritt. Weitere Untersuchungen müssen zeigen, ob dieser Effekt die Hypothese eines Flüssig-Flüssig-Phasenübergangs von Wasser unterstützt. Insbesondere muss analysiert werden, ob die Befunde das Bulkverhalten von Wasser widerspiegeln oder durch die räumliche Einschränkung hervorgerufen werden.

Temperaturabhängige Rotationskorrelationszeiten von Wasser in Silicaporen verschiedener Durchmesser zeigen einen dynamischen Übergang bei ca. 220 K
Temperaturabhängige Rotationskorrelationszeiten von Wasser in Silicaporen verschiedener Durchmesser zeigen einen dynamischen Übergang bei ca. 220 K
Bild: AG Vogel

Simulation von unterkühltem Wasser im Bulk

In Molekulardynamik-Simulationen kann die Kristallisation von Wasser durch sehr hohe Abkühlraten vermieden werden. An Hand geeigneter Wassermodelle lassen sich deshalb die Eigenschaften der unterkühlten Bulkflüssigkeit erforschen.

Eine wichtige Frage bei diesen Untersuchungen ist, inwieweit das verwendete Modell das Verhalten von Wasser nachbildet. Um dieser Frage nachzugehen, verändern wir gezielt die Modellparameter, z.B. die Stärke der Wasserstoffbrückenbindungen. Auf diese Weise lassen sich generische Eigenschaften identifizieren. Für mehrere Varianten des etablierten TIP4P/2005-Wassermodells zeigen unsere Simulationsresultate, dass sich zwei flüssige Phasen von Wasser unterschieden lassen. Sie werden bei tiefen Temperaturen durch eine Phasengrenzlinie getrennt, die in einem zweiten kritischen Punkt endet. Im Einphasengebiet in der Nähe dieses zweiten kritischen Punktes ändern sich die relativen Anteile von Bereichen mit höherer Dichte und höherer Beweglichkeit bzw. mit niedrigerer Dichte und niedrigerer Beweglichkeit als Funktion von Temperatur und Druck rapide, sodass ein prominenter dynamischer Übergang auftritt.

Ein Kreuzen der Isochoren zeigt die Existenz eines zweiten kritschen Punkts am Ende eines Flüssig-Flüssig-Phasenübergangs für ein gängiges Wassermodell. In der Nähe dieses flüssig-flüssig kritischen Punkts tritt ein dynamischer Übergang auf.
Ein Kreuzen der Isochoren zeigt die Existenz eines zweiten kritschen Punkts am Ende eines Flüssig-Flüssig-Phasenübergangs für ein gängiges Wassermodell. In der Nähe dieses flüssig-flüssig kritischen Punkts tritt ein dynamischer Übergang auf.

Publikationen

  • Silvina Cerveny, Francesco Mallamace, Jan Swenson, Michael Vogel, and Limei Xu (2016). „Confined Water as Model of Supercooled Water“, Chemical Reviews 2016 116 (13), 7608-7625, https://doi.org/ 10.1021/acs.chemrev.5b00609
  • M. Weigler, M. Brodrecht, G. Buntkowsky, and M. Vogel (2019). „Reorientation of Deeply Cooled Water in Mesoporous Silica: NMR Studies of the Pore-Size Dependence“ The Journal of Physical Chemistry B 2019 123 (9), 2123-2134, https://doi.org/ 10.1021/acs.jpcb.8b12204
  • R. Horstmann and M. Vogel (2021). “Relations between Thermodynamics, Structures, and Dynamics for Modified Water Models in Their Supercooled Regimes,” The Journal of Chemical Physics 154, no. 5 (February 7, 2021): 054502, https://doi.org/10.1063/5.0037080